Liebe Schwestern und Brüder!
„Fehlt dir was?“, so fragen wir manchmal jemanden, der schlecht aussieht, der uns „gar nicht gefällt“. Bei der Frage schwingt die Sorge mit: „Geht es dir gut? Woran mangelt es dir?“
„Fehlt dir was?“ ist auch eine hilfreiche Frage, um festzustellen, was einem jemand oder etwas bedeutet. Das kann etwa in Richtung Hobbys gehen. Ich zum Beispiel gehe gerne Wandern und Radfahren. Würde mir etwas fehlen, wenn ich das nicht mehr könnte? Ja, natürlich. Es würde mir fehlen an der frischen Luft zu sein, die körperliche Betätigung und damit die Möglichkeit, etwas für meine Gesundheit zu tun. Mir würde fehlen, dass ich dadurch den Kopf freikriege und sich ein Gefühl der Entspannung einstellt.
Daneben gibt es natürlich auch Menschen, die mir wichtig sind: Freunde, Verwandte, Familienangehörige, für viele der Partner, die Partnerin. Würde mir etwas fehlen, wenn die nicht – oder nicht mehr – da wären? Ja, natürlich würde mir etwas fehlen: Die gute Gemeinschaft, das ungezwungene Beisammensein, wo ich so sein kann, wie ich bin; das gemeinsame Lachen und Weinen, jemand der mich versteht, mit dem ich reden kann, der mir hilft und mich unterstützt, das Gefühl von Wertschätzung, Angenommensein, Liebe… all das würde mir (und uns) fehlen, wenn bestimmte Menschen nicht da wären. Schmerzlich wird uns oft erst dann bewusst, was uns jemand bedeutet, wenn er/sie von uns geht. Immer wieder kommt uns dann in den Sinn: Du fehlst.
Nun feiern wir heute eine Kirchweihe: Die Lateranbasilika. Die steht in Rom, also weit weg und die meisten können – nachvollziehbar - damit wenig bis gar nichts anfangen. Aber es gibt ja auch Kirchen vor Ort; und da drängt sich eine weitere Frage auf: Würde etwas fehlen, wenn es diese Kirche St. Josef nicht gäbe? Und wenn ja, was? Wäre dann einfach etwas nicht da, was wir halt gewohnt sind, ein mehr oder weniger schönes Schmuckstück? Oder würde mehr fehlen? Würde es z.B. etwas mit Oberndorf und seiner Bevölkerung machen, wenn diese Kirche nicht mehr da wäre?
Auf der anderen Seite fällt auf, dass Jesus im heutigen Evangelium eher Kritik an den Kirchengebäuden seiner Zeit übt; die hießen damals „Tempel“. Und da gab es vor allem einen: den Tempel in Jerusalem, sozusagen die Lateranbasilika des Judentums zur Zeit Jesu. Jesus geht dorthin und wirft die Händler und Geldwechsler kurzerhand raus. Dabei geht es ihm keineswegs nur darum, ein paar Devotionalienhändler aus dem heiligen Bezirk zu schmeißen, weil die diesen Ort entweihen würden. Seine Kritik setzt sehr viel tiefer an. Der Tempel damals wurde als Wohnort Gottes angesehen, der in bestimmten Bereichen nur von bestimmten Personen betreten werden durfte, den Priestern. Die Sündenvergebung hat man zu einem Handel gemacht, deshalb war der Tempel auch Bank. Dagegen übt Jesus Kritik: Dass ein religiöser Ort als klerikales Machtinstrument und zur Geschäftemacherei missbraucht wird. Eine Gefahr übrigens, die bis heute in allen Religionsgemeinschaften besteht, auch im Christentum.
Der Apostel Paulus greift diese Kritik Jesu auf und spitzt sie sogar noch zu, wenn er an Christen schreibt: Ihr braucht überhaupt keinen Tempel, denn "der Tempel Gottes seid ihr". Gott wohnt nicht in einem Gebäude – zumindest nicht nur, sondern er wohnt vor allem im Menschen. Das war und ist revolutionär, und es gilt bis heute: "Der Tempel Gottes, der seid ihr!" Jeder Mensch ist ein Kind Gottes, deshalb leuchtet in jedem Menschen ein Funke Gottes; da gibt es keine Unterschiede. Jeder Mensch ist Trägerin und Träger des Geistes Gottes und damit „Tempel Gottes“.
Wenn also nicht die Gebäude Träger des Geistes Gottes sind, sondern der Mensch, schließt sich eine letzte Frage an: Würde uns etwas fehlen, wenn es keine Christen mehr gäbe? Würde uns, d.h. der Gesellschaft, etwas fehlen, wenn der christliche Geist nicht mehr spürbar wäre? Ich meine „Ja“. Denn der christliche Geist hat unser Denken und unsere Kultur geprägt. Christlicher Geist bedeutet Versöhnung statt Krieg, Nächstenliebe statt Ausgrenzung, Gerechtigkeit statt Machtmissbrauch, Respekt statt Überheblichkeit, Liebe statt Hass, die Hoffnung auf Leben, statt Tod. Ich bin davon überzeugt: wenn unsere Gesellschaft nicht mehr diese Idee vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat, in sich trägt, wenn sie nicht mehr die Vision eines Himmels auf Erden und in der Ewigkeit wachhält, gehen wir sehr dunklen Zeiten entgegen. Und ich fürchte: die meisten werden es erst dann merken und vermissen, wenn es zu spät ist.
Deshalb liegt es an uns: Wir sind der Tempel Gottes, die Träger/innen des Heiligen Geistes. Es liegt an uns Gottes Geist spürbar und erfahrbar zu machen in unserer Zeit. Natürlich sind dafür unsere Kirchengebäude hilfreich. Weil sich hier Menschen im Geist Gottes versammeln, weil hier Menschen tagsüber hereinkommen, eine Kerze anzünden und beten, weil es mystische Orte sind, weil der Kirchturm ein äußerer Fingerzeig in den Himmel ist, um darauf hinzuweisen, dass es da vielleicht doch noch mehr geben könnte als unsere irdische Wirklichkeit. Aber wir müssen uns in diesen Zeiten auch fragen, wie lange wir uns das noch leisten können. Wovon wir uns trennen müssen – gerade bei den Gebäuden.
Deshalb ist es in gewisser Weise beruhigend zu wissen: Von den Gebäuden hängt es letztlich nicht ab, sondern von uns. Denn Gott wohnt vor allem in uns und will sich durch uns entfalten in dieser Welt. Es liegt an uns, ob sich die Gottesidee und die Vision vom Reich Gottes und damit die christlichen Werte weitertragen oder ob irgendwann dieser Welt etwas – wie ich finde - Wesentliches fehlt.

